nunzio_12513399Stöckelabsätze-Recht
Hallo Stöckel-Kollege!
Bitte um Verständnis, daß ich die juridischen Fragen mit solchen Verspätung beantworte. Ich habe sehr viel Arbeit.
Vierzehner-Absätze sind etwas zu hoch für mich. Vor einem guten Vierteljahrhundert trug ich auch oft Vierzehner und Fünfzehner zum Smoking und Festanzug mit Krawatte, weil ich den Ehrgeiz hatte, auf jeder Party und bei jedem Theaterabend die höchsten Stöckelabsätze zu haben. Dies führte oft zum Absatzvergleich und zu netten Damenbekanntschaften. Das abendfüllende Schreiten auf so riesig steilen Absätzen war etwas anstrengend doch meine langen, schlanken Füße, Größe 45, haben sich so sehr an die gewölbte, hochfersige Stellung gwöhnt, resp. mein ganzer Körper hat sich so sehr auf den eleganten Stöckelgang eingestellt, daß ich mit flachen Stampfern nicht mehr richtig laufen kann.
Seit knapp zwanzig Jahren trage ich zum Anzug fast täglich klassische, spitze Pömps auf dünnen Bleistiftabsätzen in meiner Optimal- und Lieblingshöhe 125 bis 130 mm. Ich habe gut dreißig Paar traumhaft schicke Stöckelschuhe in diesem Zuschnitt und kann ohne zeitliche Begrenzung phantastisch beschwingt, locker und sicher darauf laufen. Ich finde die langen, dünnen Stäbchen an meinen Fersen superelegant, und die Damen meinen, daß mir die schönen Hochhackigen sehr gut stehen resp. daß ich absolut gekonnt und ungezwungen darauf laufen kann, als wäre ich auf Stöckelschuhen zur Welt gekommen. Ich habe dankenswerterweise auch die richtige Figur dafür, messe ohne Absätze 187 cm und bin gertenschlank.
Am liebsten würde ich immer und überall kassische Bleistiftabsatzpömps auf meiner Idealhöhe 125 bis 130 cm tragen aber oft geht es leider nicht. Womit wir beim juristischen Thema wären.
Grundsätzlich: Es gibt in Dtl. kein formelles Gesetz, das die Absatzhöhen resp. die Schuhform reglementiert. (Etwa in den U.S.A. ist es anders.) Es steht nirgendswo, daß nur Frauen hohe Absätze tragen dürfen resp. daß alle Männer flache Schuhe tragen müssen. In generali gilt in solchen Sachen das sogen. Auffanggrundrecht, meisterhaft formuliert in Art. 2 I GG. Ich schreibe es mal hierher (es ist zwar unüblich, in rechtl. Stellungnahmen Gesetzestexte aufzuführen, aber ich will Dir das Nachschlagen ersparen). Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
Unter einem Modebegriff subsumiert: geschützt wird hier die Selbstverwirklichung des Einzelnen in der sozialen Umwelt. (Sachs GG, Art 2, Rn 10). Gleichwohl nennt der Artikel die Schranken derselben.
Was unsern Rechtsstoff Stöckelschuhe angeht, gilt folgendes.
Grundsätzlich steht es jedem frei, elegantes Schuhwerk in geschmackvoller Form (also nicht in Phallus-Gestalt u. dgl.) in dezenter, aber selbstbewußter Weise zu tragen, mit beliebiger Ausschnittweite, Absatzhöhe und Spitzigkeit. Dies verletzt in unserer modernen Welt weder die Rechte anderer, noch die verfassungsmäßige Ordnung. Etwas schwierig wird es mit dem Sittengesetz, und zwar deswegen, weil es ein solches in Gestalt einer kodifizierten Rechtsvorschrift nicht gibt. Daher ist es unter Rechtsgelehrten und Philosophen (ich habe die Ehre und das Vergnügen, beides zu sein) streitig, was darunter präzise zu verstehen ist. (Sachs w.o. Rnn 94-99). Es wird u.a. auf die gemeinsame Grundüberzeugung der Gesellschaft verwiesen (Seifert/Hömig analog Rn 7). Es geht also, sehr untechnisch gesagt (sorry), um eine Art Bandenzwang resp. Massendiktatur, wobei der Mehrheitsgeschmack dynamisch ist und sich im Laufe der historischen Epochen wandelt. Eine sehr brauchbares Theorem ist, unter dem Sittengesetz zeitlose ethische Normen der Menschheit (v.Mangoldt/Klein analog, S 186) zu verstehen. Die Höhe unserer Absätze ist hierunter nicht subsumierbar, ist demnach uns freigestellt. (Cf.: um 1700 herum waren in Frankreich Schuhe mit riesigen Schleifen und auf sehr hohen Absätzen für gentilshommes in Mode; schon allein deswegen kann in Sachen Kavaliers-Absatzhöhe nicht von zeitlosen Regeln gesprochen werden. Die Mode wandelt sich, die ethischen grundwerte bleiben /hoffentlich/ bestehen.)
Die moderne Gesellschaft ist offen genug (zumindest sollte sie offen genug sein), an sicht sittliche Bekleidungsstücke zu akzeptieren, die von dem allseits gewohnten Erscheinungsbild abweichen. Trägt jemand gerne einen Zylinderhut und einen morning coat zum sonntäglichen Kirchenbesuch (nota bene, um 1900 war das durchaus üblich), fällt er damit sicherlich stark auf, aber letztlich ist es seine Sache. Trägt ein Gentleman zum Smoking gerne superhochhackige schwarze Lackpömps, ist das auch seine Privatsache, die ihm niemand abspenstig machen darf, weder der Staat (als Garant der Grundrechte) noch eine Privatperson (im Ausfluß aus der sogen. Mittelbaren Drittwirkung, sh. Sachs w.o Rn 24).
Streitig ist nun: Wie weit ist eine Sache, rectius: eine Verhaltensweise Privatsache. Ich flechte hier die Antwort auf eine konkrete quaestio ein. Vor Gericht oder auf der Kanzel (ich habe auch den Studienabschluß als Evang. Geistlicher) trage ich zur Funktionstracht schwarze Slippers, Schnürschuhe oder Kurzstiefel aus 60 bis 80 mm hohen Blockabsätzen; das fällt nicht auf, und wenn, dann ist es eben meine persönliche Note. In genannten Funktionen trage ich besser keine Bleistiftabsatz-Pömps.
Juridische Leitformel: Es ist auf den durchschnittlichen Empfängerhorizont abzustellen. Sehr viele Menschen (es ist nicht jeder ein Freigeist, dem Himmel sei Dank!) nehmen Anstoß daran, wenn jemand in Ausübung einer quasi öffentlichen Funktion in allgemein zugänglichen Räumen (Kirche, Gerichtssaal) Bekleidungsstücke trägt, die von der Vorstellung der Mehrheit stark abweichen. Wir respektieren dies kulant, denn die Abweichungen könnten auf die würdigen Institutionen, die wir ggf. vertreten, rügend zurückschlagen, und das wollen wir nicht. Sicherlich ist die Denkweise der Massen kleinlich, aber ich will mittels meiner Stöckelschuhe nicht provozieren, ich will sie tragen zur eigenen Freude. Daher sind Grenzen geboten in Sachen Extravaganz.
Eine weitere Grenzbestimmung ist kaum zu schaffen. Ich meine: Wo beginnt der Stöckelschuh. Mein Schuhwerk auf max. 80 mm hohen Blockabsätzen fällt nicht in jene Kategorie. Wie weit ist ein Schuh-Paar dekolletiert resp. wie hoch und wie dünn ist ein Paar Absätze, um von Stöckelschuhen reden zu können Das ist etwa wie die qaestio eleatica, es gibt keine verbindliche Millimetergrenze.
Hochhackige Pömps zur Arbeit. Im Staatsdienst oder im privaten Bankwesen resp. im konventionellen Dienstleistungsbereich kann der Dienstherr oder der Arbeitgeber auf einer äußeren Erscheinung (ordentliche Rasur, sauberer Kragen, Krawatte und auch Schuhwerk in hergebrachter Form) bestehen, die der Erwartung des durchschnittlichen Eindruck-Empfängers (d.h. der Alltagskundschaft) sehr nahe kommt. Der Mitarbeiter repräsentiert da nicht sich selbst, sondern die Dienststelle. Das ist verständlich. (Am Rande. Eingedenk des Tunica-Streits und des Kopftuch-Streits vor dem BVerfGer wäre es juridisch reizvoll zu versuchen, als männl. Studienrat auf hochhackigen Pömps zum Unterricht zu gehen. Da hier, im Ggs. zum Vorigen von transzendent-weltanschaulicher Beeinflussung nicht die Rede sein kann /ein Freigeist zu sein ist durchaus diesseits-immanent/, hätte der steilabsätzige Beschwerdeführer Aussicht auf Erfolg.)
Im privaten mittelständischen Unternehmertum schwinden die Schranken zugunsten der Persönlichkeitsrechte des Mitarbeiters. Als Verkäufer im Juwelierladen oder in einer Kunsthandlung möge ein Gentleman hohe Stöckelschuhe tragen, wenn er mag; das kann als originell gelten und sogar als Kundschaftsmagnet wirken. In Arbeitsbereichen ohne Publikumsverkehr dürften Stöckelschuhe für Herren auch kein Ärgernis sein. Ein Grundsatzurteil in dieser Sache gibt es m.W. bis jetzt nicht. Ein solches, und zwar ein für uns Absatzfreunde günstiges, herbeizuführen könnte der nächste Schritt in der Gleichberechtigung hochhackiger Pömps für Gentlemen resp. für die arbeitsrechtliche Gleichbehandlung der Trägerinnen und Träger von eleganten Bleistiftabsätzen sein.
Mit fröhlichen Klick-Klick-Grüßen
Löwe.