Vorab das kleine 1x1 der festen Spange:
Bracket : Klammer die auf den Zahn geklebt wird
Bogen : Draht der an den Zähnen lang läuft
Bracketgummi: kleiner runder Gummi, der den Bogen am Bracket hält
Kette: Aneinander gereihte Bracketgummis, um Zug zu generieren
Band: Metallmantel für Backenzähne mit Haken zum Befestigen von Zug-Gummis
Wachs: Schutzwachs für Brackets/Bänder um Backen oder Zunge zu schützen
Wie die Jungfrau zum Kinde:
Aufgrund einer misslungenen Wurzelbehandlung wurde mir der vorletzte Backenzahn entfernt. Dabei wurde sehr viel Knochen vom Kiefer weggefräst um die Wurzeln vollständig zu entfernen. Anstatt der üblichen Prozedur (Knochenaufbau, Implantation eines Stiftzahnes) habe ich mich für die feste Spange entschieden, um den letzten Backenzahn nach vorne zu ziehen und den hinteren Weisheitszahn aufzurichten.
Meine nicht gerade perfekt stehenden Zähne gaben dann den Ausschlag für diese Lösung, da man danach eine perfekt sitzende Reihe als Kauleiste sein Eigen nennen kann.
Es geht los, die Installation:
Zu Beginn werden Abdrücke vom Istzustand gemacht. Dann werden zwischen die Backenzähne Plastikblättchen gedrückt um Platz für die um die Backenzähne zu legenden Bänder zu schaffen. Die Bänder haben Haken um Fixpunkte für Zuggummis zu bieten. Das ist der erste Vorgeschmack, wie permanenter, externer Druck auf die Zähne wirkt. Tut nicht wirklich weh, aber zieht schon deutlich spürbar. Nach 2-3 Tagen haben die Plastikblättchen den erforderlichen Platz zwischen den Zähnen geschaffen und die Bänder konnten um die Backenzähne gelegt werden. Dann wurden die Brackets auf die Zähne geklebt. Es wurde der erste Bogen in die Brackets gelegt und mit kleinen Gummis fixiert. Die Installation ist völlig schmerzfrei und auch nicht wirklich unangenehm.
Nach 1-2 Stunden machte sich der Druck auf die Zähne dann bemerkbar. Grundsätzlich spürt man, nach einiger Zeit, nicht direkt nach der Installation, neu ausgeübten Druck, egal ob er durch einen festeren/dickeren Bogen oder durch eine frische Kette ausgeübt wird.
Aller Anfang ist schwer:
Die erste Zeit war die schwierigste. Man will sich einfach nicht an den Metallfasching im Mund gewöhnen. Die erste Mahlzeit zeigte deutliche Spuren, nicht nur mittels Speisenreste in den Zwischenräumen der Brackets, sondern vielmehr durch Wunden im Mundraum. Der Haken eines Bandes scheuerte eine Stelle der Zunge wund, ein Bracket rieb den Backen auf. Erstes Blut wurde vergossen. Scheußliches dauerte 2-3 Wochen bis ich das Wachs als ständigen Begleiter auch mal daheim vergessen konnte, ohne auf halbem Wege umzudrehen, um meinen Freund und Beschützer zu holen. In dieser Zeit verging mir oft der Appetit und ich ließ gerne die eine oder andere Mahlzeit links liegen. Auch jegliche Zwischenmahlzeiten oder Snacks blieben komplett auf der Strecke,denn bei jedem Essen löste sich das Wachs vom Metall und rieb wieder die gerade heilende Stelle auf. Nach 2 Wochen habe ich das Ding verflucht und war kurz davor das Teil rauszureißen und den nächsten Implantologen zu konsultieren. Aber ich biss mich durch, im wahrsten Sinne des Wortes
Es ist wirklich faszinierend wie schnell Wunden im Mundraum regenerieren, deutlich schneller als am Rest des Körpers. Während meiner Spangenzeit habe ich gelesen, dass im Speichel spezielle heilungsfördernde Enzyme enthalten sind , ich zweifelte nicht an diesem Artikel.
Neuer Schmuck:
Die Metallinstallation fällt auf, auch wenn ich Keramikbrackets hatte (Metallbrackets sind höchstens was für ganz extrovertierte Menschen). Genau wie man selbst, gewöhnt sich auch das Umfeld schnell daran und das Thema ist vom Tisch. Auch im Geschäftsleben hatte ich all die Jahre nie Probleme damit.
Nach einiger Zeit verfärbten sich die anfänglich transparenten Bracketgummis, vor allem die vorderen. Nikotin oder Rotwein beschleunigen den Vorgang extrem. Da man in der Regel nur alle 2-3 Wochen einen Termin zum Reifenwechsel hat, sieht das schnell unästhetisch aus. Daher hatte ich ein Aufziehwerkzeug und Gummis zuhause, um alle 2-3 Tage die Bracketgummis, zumindest an den vier vorderen Schneidezähnen, selbst zu wechseln.
Zeit ist Geld
Der Arzt des Vertrauens sollte auf jeden Fall in unmittelbarer Nähe sein. Lange Wege nerven sehr schnell, da man nicht nur alle 2-3 Wochen zur Inspektion muss, sondern auch schnell mal was kaputt gehen kann. Der Klassiker ist ein loses Bracket, das nur noch so am Bogen rumgondelt. Da lobt man sich die Bänder die nicht kaputt gehen können, die sind wirklich beliebig belastbar. Da kann auch gerne mal etwas Hartes geknackt werden. Sonst sollte man sich etwas zurückhalten und kräftiges Zubeißen tunlichst vermeiden. Oft merkt man auch erst nachdem man wieder daheim ist, dass z.B. der neue Bogen hinten raus steht und in die Backe pickst. Dann muss man wieder zum Arzt, um den Bogen umbiegen zu lassen, das kann man nicht selber machen. Deshalb vor dem Aufstehen aus dem elektrischen Stuhl immer gut mit dem Finger nach spitzen Stellen suchen, um einen neuen Termin beim Arzt oder hohen Wachsverbrauch zu vermeiden.
Wenn am Wochenende etwas kaputt ging, stand ich schon mal mit der Wasserpumpenzange und dem Seitenschneider vor dem Spiegel, um mich verschiedener Teile zu entledigen.
Es tut sich was:
Nach einiger Zeit sieht man die ersten Ergebnisse, die Zähne wandern langsam in Reih und Glied. Das ist dann der wohl verdiente Lohn für die Plagerei. Immer stärkere Bögen werden installiert, und jeder neue Bogen lässt einen für 1-2 Tage spüren wie hart der Kerl ist. Das ist dann auch ab und zu eine ungewollte Fastenzeit. Hier habe ich die fette Buttermilch gerne dem Entrecote vorgezogen. Pistazien, Erdnüsse und klebriges Karamell werden zur Seltenheit, da Sie danach in sämtlichen Ritzen und Schlitzen sitzen, furchtbar.
Hygiene rules
Anstatt alle 6 Monate sollte man den Besuch beim Zahnarzt zur Prophylaxe auf alle 4 Monate verkürzen. Der Besuch beschert der Putzfee eine Ecke mehr Arbeit. Die Metalle erschweren auch das tägliche Putzen und der Zahnbürstenverschleiß erhöht sich deutlich.
Der Abschied
Wenn man seine Zähne nur geradestellen möchte geht das relativ fix, je nach Fehlstellung vielleicht 6-12 Monate. Bei mir ging es deutlich länger, da ich einen Zahn umziehen lassen musste und das braucht leider mehr Zeit. Der Ausbau des Ganzen ist ruck zuck geschehen, Bogen raus, Bracksets runter, Bänder rausgezogen und Zähne poliert. Danach noch einen Abdruck für die Plastikspange die man nachts reinmachen sollte, damit man auch längerfristig was von den geraden Zähnen hat. In der ersten Zeit nach der Korrektur kehren die Zähne gerne wieder in alte Gewohnheiten zurück und stellen sich wieder je nach gusto auf. Dies verhindert man mit der Plastikschiene.
Diese Schiene halte ich für so effektiv, dass man kleinere Fehlstellungen durchaus nur mit der herausnehmbaren Schiene lösen kann. Diese muss dann immer wieder neu angefertigt werden um die Korrektur weiterzutreiben, aber man spart sich damit die ganze Festinstallation.
Das Beste ist, dass man die Brackets und Bögen wirklich vermisst. Mit der Zeit gewöhnt man sich so daran, als würde es zum Körper gehören, echt unheimlich diese Trennung. Aber jeder Schmerz geht vorbei, dieser Trennungsschmerz relativ zügig.
Fazit
Manchmal nervig, aber ich würde diesen Weg wieder wählen!